Aueikaufe??

Samstag ist Markttag. Die ganze Woche freue ich mich schon darauf. Auch an diesem Samstag stehe ich schon früh auf, um ja nichts zu verpassen, und gehe zum Memminger Markt. Da ist etwas los, da pulsiert das Leben, da trifft sich die ganze Stadt zum großen Ritual. Man begegnet sich, lächelt sich an und spricht das Zauberwort: „Aueikaufe?!“

Und man antwortet: „Aueikaufe!?“

Auch ich werde von ca. dreiundvierzig Freunden und Bekannten mit einem fröhlichen „Aueikaufe!?“ empfangen. Nicht nur ich: ringsherum schallt es unentwegt „Aueikaufe? Aueikaufe!“ Mein Cousin, Árpád aus Budapest (er heißt eigentlich anders, aber so ist es romantischer, nicht wahr?), der mich einmal zu diesem netten Ritual begleitete, hält das Wort seitdem für einen traditionell – zünftigen schwäbischen Gruß. Ich antworte stets brav „aueikaufe“, oder schlicht „auau“. „So,so“, sagen sie dann, und weil ich es ihnen nicht verderben will, antworte ich pflichtbewusst „ja, ja“. Doch einige von ihnen spielen manchmal eine andere Variante. Nach dem pflichtgemäßen „Aueikaufe“ stellen sie mir eine ausgesprochen persönliche Frage:

„Und? Alles klar?“

„Alles klar, alles paletti“, sage ich, und wir haben nicht die leiseste Ahnung, worüber wir reden. Dann treffe ich einen Bekannten, von dem ich nicht mehr weiß, ob wir perdu sind oder nicht. „Ja hallo, wie geht’s?“ eröffne ich vorsichtig. „Gut, gut, und selbst?“ antwortet er lauernd. Offensichtlich hat er das gleiche Problem. „Selbst ist der Mann!“ sage ich plötzlich tollkühn, die Spielregeln missachtend. „Hähä“, meint er gequält, „Spaß muss sein“. Ich pflichte ihm bei, und wir trennen uns erleichtert. Dann gehe ich tatsächlich aueikaufe. Ich betrete ein Geschäft.

Beflissen eilt eine Verkäuferin zu mir und stellt die unvermeidliche Frage:

„Kann man Ihnen helfen?“

„Mir kann niemand helfen“ antworte ich mit gespielter Bitterkeit, was auch bei ihr den „Spaß muss sein“ – Reflex auslöst. Beim Verlassen des Ladens dann verabschiedet mich der Besitzer äußerst freundlich mit folgenden Worten: „Auf Wiedersehen, alles Gute, vielen herzlichen Dank, Herr ööö… und grüßen Sie von mir Ihre…ööö… Lebensgefährtin, die Frau X, und ihre Schwester, die Frau Y, gell, unbedingt, und ein schönes Wochenende auch, und frohe Ostern schon mal im voraus, falls…hähä…“.

„Jaja, schon gut“ antworte ich hilflos und verlasse fluchtartig das Geschäft, denn soviel Zeit habe ich nun wirklich nicht. Bereits im Voraus freundlich lächelnd setze ich meinen Weg fort, denn es kommt zu weiteren Begegnungen:

„Wie geht’s?“

„So la la. Es muß gehen.“

„Ja, ja, kann man nix machen.“

“ ’s isch halt so.“

„So, so.“

„Ja ja.“

Derart tiefsinnige Gespräche führe ich, bis der Markt sich leert und die Läden schließen. Und „aueikaufe“, immer wieder „aueikaufe“. 

Mit gemischten Gefühlen kehre ich heim und verstehe nach kurzem Nachdenken endlich, warum ein Großteil der Bevölkerung gegen die Erweiterung der Ladenschlusszeiten ist und warum die Kirche einen derart erbitterten Kampf gegen den verkaufsoffenen Sonntag führt. 

Was das Ganze soll? Nix,nix. Ich wollte bloß die Stereotypität bestimmter Redeweisen ad absurdum führen. Was dies wiederum bedeutet? Das weiß ich auch nicht so genau. ’s isch halt so, kann man nix machen. Gehen Sie am nächsten Samstag aueikaufe?

1999

P.S. Über den rätselhaften Memminger Dialekt, der sich krass oder besser ausgedrückt frappant von den Dialekten der Nachbardörfer in einer Entfernung von drei bis sieben Kilometern unterscheidet, werde ich in einem der nächsten Beiträge berichten.

 

 

 

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2 Gedanken zu “Aueikaufe??

  1. S.P. schreibt:

    Den Titel „Aueikaufe“ musste ich dreimal lesen, bevor ich ihn Buchstabe für Buchstabe entwuseln konnte. Bin halt kein Eingeborener und dem tiefen Memminger Dialekt nicht mächtig. 😉
    War mir ein Vergnügen, den humoristischen Pointierungen dieser Alltags-Situation zu folgen. Man muss halt das Leben, ab und an, mit einem Augenzwinkern betrachten.
    Freu mich auf weitere Einträge in diesem Blog.
    Danke.

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